Press release APA

20.12.2023

Ukraine-Geflüchtete in Wien: Hohe Bildung und geringe Rückkehrwünsche

Ukrainische Geflüchtete, die wegen des russischen Angriffskrieges nach Wien kamen, können sich besser vorstellen lange zu bleiben und haben höhere formale Bildung als diejenigen in Krakau (Polen). Der Erwerbseinstieg hierzulande verläuft aber langsam, sagte Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der WU Wien zur APA. Die Ergebnisse ihrer Studie, an der auch Forschende der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beteiligt waren, erschien im Journal “Plos One”.

People arriving by train
(c) APA
Die meisten geflüchteten Ukrainer sind gekommen, umzu bleiben

Knapp zwei Jahre nach der Invasion Russlands in der Ukraine sind laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR mehr als neun Millionen Menschen auf der Flucht – fast sechs Millionen von ihnen haben in europäischen Ländern Schutz gefunden. Um diese Gruppe besser zu verstehen, haben die Forschenden im Frühjahr 2022 rund 1.500 Interviews zu sozio-demografischem Hintergrund, wirtschaftlichen Möglichkeiten und Erwartungshaltung in Ankunftszentren in Wien und in Krakau durchgeführt.

“Bei der Befragung hatten wir den großen Vorteil, dass alle Geflüchteten, die im Frühjahr 2022 in Wien bleiben wollten, im Austria Center Vienna Behördengänge zu erledigen hatten”, sagte Co-Studienautorin Isabella Buber-Ennser vom Vienna Institute of Demography (VID) der ÖAW zur APA. So ein One-Stop-Shop sei in der Migrationsforschung eine seltene Gelegenheit. Vor Ort traf man, auch wegen der Mithilfe ukrainischer Studierender und Forschender, auf eine hohe Bereitschaft, die Fragebögen zu beantworten. Aus diesen Gründen ist das Vertrauen groß, einen guten Querschnitt der zu diesem Zeitpunkt angekommenen Gruppe zu haben, sagte Buber-Ennser weiter.

Das Ergebnis: Die überwiegend weiblichen Geflüchteten sind hochgebildet. So haben in der ukrainischen Allgemeinbevölkerung rund 30 Prozent der 25- bis 64-Jährigen einen tertiären Bildungsabschluss, in der Krakauer Stichprobe liege der Anteil bei 66 Prozent und in Wien bei 83 Prozent, heißt es in der Studie. Dass höher gebildete Personen über höhere Mobilität verfügen, ist in der Migrationsforschung bereits bekannt. Darüber hinaus sind diese Ergebnisse ein weiterer Baustein zum Nachweis des “Selbstselektionseffekts” unter Geflüchteten: “Selbstselektion meint, dass es sich bei Geflüchteten um eine selektive, also eine ausgewählte Gruppe handelt – die Personen, die dazu gehören, haben sich sozusagen selbst dafür auswählen können, weil sie über entsprechendes Kapital, finanziell und sozial, für die Flucht verfügen”, erklärte Erstautorin Kohlenberger.

Das politisch Einzigartige an der Fluchtbewegung aus der Ukraine sei zudem die Aktivierung der “Massenzustrom-Richtlinie” gewesen. Dadurch hatten Ukrainerinnen und Ukrainer eine legale Möglichkeit zu flüchten und sich ihr Zielland auszusuchen. Die vielfältigen Gründe dafür, dass die Wahl auf Österreich fiel, waren für die Forschenden überraschend: “Da wurden Antworten genannt, die man landläufig nicht mit Flucht in Verbindung bringen würde, sondern mit regulärer Migration gut gebildeter Expats”, so Kohlenberger weiter.

Vertrautheit und Deutschkenntnisse ausschlaggebend

Dementsprechend haben die Vertrautheit mit Österreich, etwa durch frühere Aufenthalte im Kontext von Tourismus, Studium und Arbeit, sowie zuvor bestehende Deutschkenntnisse eine große Rolle gespielt. Auch die hohe Lebensqualität und Freunde, Verwandte oder Bekannte, die schon in Wien gewesen sind, waren ausschlaggebend. “Das verdeutlicht, dass auch bei zur Flucht gezwungenen Personen die Entscheidung zum Aufbruch sowie die Wahl des Ziellandes multikausal ist – es geht eben nicht um Sozialleistungen, wie oft kolportiert wird, sondern meist um vorhandene soziale Netze im Zielland”, sagte Kohlenberger. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man feststellen, dass es oft diese sozialen Netze waren, die danach bei der Integration geholfen haben.

Das Nachbarland Polen wurde im Gegensatz zu Österreich häufig aufgrund der geografischen Nähe zur Ukraine gewählt. Dementsprechend sei die Bereitschaft, in Krakau zu bleiben, deutlich geringer als in Wien. Anders als in Polen verlaufe die Erwerbsaufnahme hierzulande jedoch schleppend, wie aktuelle Arbeitsmarktzahlen zeigen. Die Forschenden attestieren in Bezug auf die bessere Ausbildung einen paradoxen Effekt: “Höher gebildete Personen wollen oft mehr und länger in den Deutscherwerb investieren, bevor sie einen möglichst ausbildungsadäquaten Job suchen”, erklärte Buber-Ennser.

Außerdem gaben fast 20 Prozent der Befragten an, in ihrem Heimatland in Gesundheits- und Bildungsberufen, also reglementierten Branchen, tätig gewesen zu sein. Gerade in diesen Bereichen gebe es in Österreich einen hohen Bedarf an Fachkräften: “Auch deshalb braucht es eine rasche Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und unbürokratische Lösungen”, sagte Kohlenberger.

“Da die Dequalifizierung, also der Umstand, unterhalb der jeweiligen Qualifikationen am Arbeitsmarkt tätig zu sein, bei Frauen nachweislich ausgeprägter ist, sollte die überwiegend weibliche Flüchtlingsbevölkerung aus der Ukraine mit niederschwelliger Kinderbetreuung, berufsbegleitender Weiterbildung und flexiblen Arbeitszeiten unterstützt werden”, appellierte Kohlenberger. Denn diejenigen ukrainischen Personen, die es in der Zwischenzeit geschafft haben, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, seien meist überqualifiziert. “Das ist für die Betroffenen natürlich nicht optimal, aber auch schlecht für das Aufnahmeland, weil auf diese Art viel Humankapital verloren geht”, resümierte die Forscherin.

Service: Studie online unter https://go.apa.at/5ei2y9Uo


Press release PLOS ONE

20.12.2023

Specific characteristics of Ukrainian refugees linked to tendency to move farther west

High self-selection of Ukrainian refugees into Europe: Evidence from Kraków and Vienna (IMAGE)
IMAGE:
KRAKÓW, POLAND, TAKEN AT TAURON ARENA.
CREDIT: KONRAD PEDZIWIATR (UKRPL TEAM, POLAND), CC-BY 4.0

Refugees also differ between countries in intended length of stay, which could help shape government policies

In a survey study comparing Ukrainian refugees living in Kraków, Poland with those farther away from Ukraine in Vienna, Austria, those in Vienna tended to have higher education levels, more prior work experience, and greater willingness to remain in their new area of residence. Judith Kohlenberger of the Vienna University of Economics and Business, Austria, and colleagues present these findings in the open-access journal PLOS ONE on December 20, 2023.

Since Russia’s ongoing invasion of Ukraine began in early 2022, nearly 8 million Ukrainians have fled the country. These refugees often tend to be female, in their mid- to late 30s, and more highly educated than the average Ukrainian citizen. However, it is less clear whether there are substantial differences between Ukrainian refugees who moved to countries closer to Ukraine—such as Poland, Slovakia, and Hungry—versus farther west, including Germany and Austria.

To help clarify, Kohlenberger and colleagues conducted surveys in the spring of 2022 involving adult Ukrainian refugees living in Kraków and Vienna. They analyzed responses from 472 participants in Kraków and 1,094 in Austria.

The analysis showed that survey participants in Vienna tended to have higher education levels, more prior work experience, and more experience living in urban environments than those in Kraków. The most commonly cited reason for choosing to live in Vienna was having a strong social network in the region. For Kraków, it was proximity to Ukraine.

Participants in Vienna were more likely to say they intend to stay there for the long term, while those in Kraków were more likely to have plans to return to Ukraine.

On the basis of their findings, the researchers suggest that state-funded financial support and living conditions—which are better in Vienna—may help shape the decision of where to move. The desire to start a new life outside of Ukraine might drive the decision to move farther west.

The researchers used a convenience sample which may not necessarily be representative of the wider population of Ukrainian refugees. However, they hope the research could inform integration policies in host countries, as well as Ukrainian policies to encourage the contribution of educated, skilled Ukrainians to post-war rebuilding efforts.

The authors add: “According to the analyzed convenience sample, a tentative conclusion is that the further Ukrainian refugees moved to the West, the more self-selected they tend to be in the key dimensions of formal educational attainment, previous employment, language skills, and urbanity.”

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In your coverage please use this URL to provide access to the freely available article in PLOS ONEhttps://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0279783

Citation: Kohlenberger J, Buber-Ennser I, Pędziwiatr K, Rengs B, Setz I, Brzozowski J, et al. (2023) High self-selection of Ukrainian refugees into Europe: Evidence from Kraków and Vienna. PLoS ONE 18(12): e0279783. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0279783

Author Countries: Austria, Poland

Funding: JK: Funded by the City of Vienna (MA17) and the Vienna Social Fund. https://www.wien.gv.at/english/ https://www.fsw.at/ KP: funded by research funds of the Cracow University of Economics and Multiculturalism and Migration Observatory www.uek.krakow.pl www.owim.uek.krakow.pl The funders had no role in study design, data collection and analysis, decision to publish, or preparation of the manuscript.